Zum Internationalen Kindertag am 1. Juni legt der Bundesverband Kinderhospiz ein besonderes Schlaglicht auf die Bedürfnisse und Rechte von Kindern. Aber was, wenn es sich dabei um Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten handelt, die viel speziellere Bedürfnisse haben? Mit der großen Kinderfoto-Mitmachaktion „Bildstark für Kinderrechte“ ruft der Bundesverband Kinderhospiz zur Solidarität mit benachteiligten sowie schwer- und schwerstkranken Kindern und Jugendlichen auf.
Berlin, 01. Juni 2021
Es gibt nur zwei Dinge, die Gerrit überhaupt nicht mag: Kinderbücher und Kindermusik. Und so hört der achtjährige Rotschopf aus Altendiez am liebsten Heavy-Metal, Hip-Hop oder Pop. Am liebsten so laut, dass ihm die Bässe in die Glieder fahren. Dann spürt er sich. Dann ist er glücklich. „Wenn er happy ist, macht er Quatsch – seine Lieblingsbeschäftigung“, sagt Stiefpapa Steven Richter. Dabei purzeln dem übermütigen kleinen Kerl ganz viele Fantasiewörter aus seinem Mund, die Papa, Mama und die vier Jahre ältere Schwester Sophia absolut nicht verstehen können. Gerrit, der gerne plappert, aber nur drei verständliche Worte in einem Satz sprechen kann. Gerrit, der sich gerne viel bewegt, aber nur mit seinen Orthesen laufen kann.
So weit, so unnormal. Dazu kommt, dass Gerrit als Frühchen zur Welt kam, bereits nach der Geburt anders aussah als andere Babys und in den ersten drei bis vier Lebensjahren seine Zeit immer wieder im Krankenhaus verbrachte. Unzählige Arztbesuche, Untersuchungen, Behandlungen und Therapieversuche. Später wissen Silke und Steven Richter nur zu gut, wie zerbrechlich ein Leben sein kann. Gerrit kam mit dem äußerst seltenen Gendefekt MOPD 1 zur Welt – eine besonders extreme Form der Kleinwüchsigkeit, die nicht heilbar ist und gegen die es auch keine wirksame Therapie gibt. Deutschlandweit sind sechs Kinder betroffen, weltweit höchstens 100. Der kleine Kerl mit den roten Haaren misst gerade mal 92 cm, rund 40 Zentimeter weniger als gleichaltrige Jungs. Ob und wieviel er noch wachsen wird, wissen seine Eltern nicht. Genauso ungewiss wie das Wachstum seines Körpers ist auch seine Lebenserwartung: Betroffene Kinder
mit der myotonen Muskelerkrankung haben mit meist ein bis zwei Jahren Lebenserwartung eine besonders schlechte Prognose.
Dabei hat Gerrit mit seinen acht Jahren schon des Öfteren den Prognosen der Ärzte getrotzt. Zuletzt vor drei Jahren: Nach wiederholten Lungenentzündungen die Jahre zuvor, lag er 2018 mit einer schweren Grippeerkrankung wochenlang im Krankenhaus. Die Mediziner glaubten nach vielen Behandlungsversuchen auf der Intensivstation nicht mehr daran, sein Leben retten zu können, zu immunschwach war der kleine Kerl. Der behandelnde Kinderarzt versprach Gerrit, sollte er überleben, für ihn zu tanzen. Der kleine Patient schaffte das Unmögliche, und das Video vom „Dancing Doc“ ging um die Welt. Eine wahre Kämpfernatur, dieser kleine Mann. Genauso wie seine Mutter Silke, die im November 2020 – als wenn das alles nicht schon genug wäre – an Brustkrebs erkrankt ist und die nun die bösartigen Tumore mit Chemotherapien bekämpft. Bis mindestens Ende des Jahres kümmert sich Steven Richter um die Pflege von Gerrit und ist heilfroh, dass sein Stiefsohn, der seit vielen Monaten nicht zur Schule gehen und seine Freunde sehen kann, wenigstens einmal im Jahr eine Art Urlaub im Wiesbadener Kinder- und Jugendhospiz Bärenherz genießen kann.
„Das Beispiel von Familie Richter zeigt überdeutlich, wie viele Familien am Limit sind“, gibt Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz zu bedenken, „deshalb versuchen unsere KinderhospizmitarbeiterInnen mit allen Kräften und Mitteln den betroffenen Kindern und ihren Familien ein bisschen Normalität zurückzugeben.“
Gerrit geht gern ins Kinderhospiz Bärenherz, denn dort ist so viel Leben. Und dort wartet auch seine geliebte Therapiehündin Sissi auf ihn. Wenn es dann noch sein Lieblingsessen gibt, Käsebrot mit Honiggurken, dann ist für Gerrit die Welt wieder in Ordnung. „Er überrascht alle mit seiner Fröhlichkeit und Offenherzigkeit. Unser Prince Charming hat ein Recht auf ein weitgehend selbstbestimmtes Leben“, sagt Steven Richter. Dafür kämpfen er und seine Frau Silke bereits seit vielen Jahren.
Zur Kinderfoto-Mitmachaktion „Bildstark für Kinderrechte“: 13 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Deutschland sind von der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen betroffen. Das sind immense Zahlen, hinter denen jeweils Einzelschicksale stehen. 50.000 von ihnen sind lebensverkürzend erkrankt. Deshalb brauchen sie Menschen, die für die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung sorgen. Vor diesem Hintergrund ruft der Bundesverband Kinderhospiz mit „Bildstark für Kinderrechte“ jeden dazu auf, ein persönliches Zeichen zu setzen und aus Solidarität mit dem Schicksal lebensverkürzend erkrankter Kinder, eigene Kinderfotos von sich zu posten: In den sozialen Netzwerken des Bundesverband Kinderhospiz oder auf den eigenen Kanälen unter dem Hashtag #bundesverbandkinderhospiz und #bildstarkfuerkinderrechte. Aus den geposteten Fotos wird eine große Foto-Collage gestaltet, die am 1. Juni in den sozialen Netzwerken des BVKH veröffentlicht wird.